Das letzte Länderspiel der DDR-Nationalmannschaft

Von einem Familienausflug und vom „Fähnlein der 14 Aufrechten” ist die Rede, als sich am 11. September 1990 die DDR-Nationalmannschaft auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld trifft. Eine Reise beginnt, die Wehmut erzeugt und noch einmal viele Erinnerungen weckt. In Brüssel ist Belgien der Gegner im 293. und letzten Länderspiel der DDR-Fußball-Nationalmannschaft um Trainer Eduard Geyer.

Der Abschied in Belgiens Hauptstadt steht unter denkbar ungünstigen Voraussetzungen. Von 36 Kandidaten für das Abschiedsspiel sind nur zwölf angereist. Heyne (Verzichtserklärung), Bräutigam, Minkwitz, Lindner, Steinmann, Kirsten, Doll, Thom (alle verletzt!?) und Ernst (keine Motivation) fehlen. Vielleicht ist es gerade die Fadenscheinigkeit einiger Absagen, dass sich in der kleinen Delegation von Spielern, Trainern und Offiziellen anfängliche Resignation in den Mut der Verzweiflung, der Ärger über die Umstände in Trotz und eine Jetzt-Erst-Recht-Stimmung umwandeln.

Das „letzte Aufgebot“, das dann am Abend des 12. September im Anderlecht-Stadion auf das Spielfeld läuft, hat den lächerlichen Durchschnitt von zehn Auswahleinsätzen pro Spieler und ein Durchschnittsalter von 24 Jahren. Auf jeden Fall beweisen die Gastgeber vor dem Anpfiff Gespür für die besondere Situation. Es werden noch einmal alle drei Strophen der Nationalhymne gespielt, deren Text wegen der Worte „Deutschland einig Vaterland“ zuvor lange nicht gesungen werden durfte.

Was danach passiert, ist sowohl sensationell als auch durch die besondere Situation erklärbar. Der Außenseiter lässt sich vom hohen Favoriten nicht schrecken, spielt voller Mut und Kampfkraft und hat in Mathias Sammer einen vorbildlichen Kapitän, der überall auf dem Feld zu finden ist. Auch in der 74. Spielminute steht der Neu-Stuttgarter richtig und erzielt mit letztem Einsatz die Führung. Es ist das 500. Tor in der Länderspielgeschichte der DDR-Auswahl! Sekunden vor dem Abpfiff setzt Sammer noch eins drauf. „Sensations-Abschied mit 2:0-Auswärtssieg“ heißt die „sportecho“-Schlagzeile am nächsten Morgen auf der Titelseite. Die Stimmung in der Kabine des Siegers ist schwer zu beschreiben. Obwohl die Freude überwiegt, Gratulationen von vielen Seiten kommen, ist ausgelassener Jubel nicht zu spüren. Der Hallenser Torhüter Jens Adler. Länderspieldebütant in den letzten drei Minuten, sitzt still in einer Ecke. Der kleine Jenaer Stefan Böger kämpft mit den Tränen. Matthias Sammer gibt ruhig und sachlich ein Interview nach dem anderen. Von Moral und Zusammenhalt wird am Abend im Hotel in großer Runde viel gesprochen. Und Trainer Eduard Geyer ist „stolz auf diese Mannschaft“. Erst im Morgengrauen gehen die letzten zu Bett. Nicht etwa schwankend, sondern aufrecht. Wie es sich halt bei einem Abschied unter Männern gehört.

Statistik

  • DDR: Schmidt (90. Adler) – Peschke, Wagenhaus, Schößler, Schwanke, Stübner (26. Böger), Sammer, Bonan, Scholz (87. Kracht), Wosz, Rösler.
  • Belgien: Preudhomme, Demol (46. Albert), Staelens, Plovie, de Wolf, Brockaert, Scifo (46. Degryse), van der Elst, Versaval (68. Boffin), Vandenbergh, Ceulemans (46. Wilmots).
  • Tore: 0:1 Sammer (74.), 0:2 Sammer (89.).
  • Schiedsrichter: Blankenstein (Niederlande).
  • Zuschauer: 10.000.

Quelle: fuwo-EXTRA – Eine Sonderausgabe der Fußball-Woche, 1991.

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